Zur neuen Frauenquote in Unternehmen

Anstöße: Lassen Sie sich irritieren!
Ein junger, ehrgeiziger Anwalt, aussichtsreiche Nachwuchskraft einer Kanzlei, signalisiert seinem Arbeitgeber, dass er gerne seinen Anspruch auf Elternzeit wahrnehmen möchte. Die prompte Reaktion der Chefs: „Wenn Sie das machen, werden Sie in unserer Kanzlei niemals Partner werden.“
Das ist Old School, keine Frage. Nur: Diese Fälle gibt es, und sie sind gar nicht so selten. Im Alltag der meisten Unternehmen lassen die Verhältnisse noch zu wünschen übrig, noch dominiert die heilige Ordnung der Männer. Bei gleicher Tätigkeit, Ausbildung und Erfahrung erhalten viele Frauen weniger Gehalt. Die politische Diskussion über die Frauenquoten zeigt Anflüge von Geschlechterkampf, Worthülsen werden ausgetauscht, der Sarkasmus bei Männern ist oft nicht zu überhören.
Keine Frage: Es gibt Nachholbedarf, auch viele Irrungen und Wirrungen. Frauen seien die besseren Männer in der Führung, hört man in neuerer Zeit öfter. Übernehmen nach der Ära des Patriarchats nun die Frauen die Macht? Wie das aussähe, machen einige Problemstaaten in Afrika vor. Wählte man das Matriarchat zum Leitmotiv einer Weltkonstruktion, würde es schwierig. Ebenso wenig führt der Gedanke weiter, die Zukunft der Führung sei weiblich. Alles Einseitigkeiten, alles Irrwege!
Die Probleme unserer Zeit drängen – Umweltzerstörung, festgefahrene ökonomische Systeme, die Schere zwischen Arm und Reich, Instabilität durch Terrorismus, Migration, der Zusammenstoß verschiedener Weltsichten, die Komplexität der Moderne. Zu Recht heißt es, ein Großteil dieser Probleme sei Folge einer außer Kontrolle geratenen Männlichkeit. Stellt sich also die Frage: Was können wir tun, jeden Tag, im konkreten Manageralltag? Welche Anstöße können wir geben, damit das System sich ändert und wir zu einem wirklichen Dialog von Mann und Frau, zu einer tiefen Begegnung auf Augenhöhe kommen?
Nun, ein System braucht bekanntlich Irritation, damit eine Veränderungsdynamik entsteht. Das wissen wir aus der Systemtheorie. Außerdem ist eine kritische Masse erforderlich, damit sich die Verhältnisse ändern. Die kritische Schwelle liegt bei etwa 30 Prozent. Das heißt: Besteht ein Team oder ein Unternehmen aus 30 Prozent modern denkender Frauen und Männer, lässt sich die neue Richtung durchsetzen – der große Rest wird nachfolgen.
Lassen Sie sich also irritieren!

Anregungen für Männer
- Lassen Sie sich irritieren von den Unterschiedlichkeiten in ihrem Führungsteam, insbesondere von den Frauen. Lassen Sie sich irritieren von Frauen, die nicht den härteren Mann abgeben, sondern ihren eigen Stil haben: meist zielstrebig und effizient an der Sache hin orientiert. Oft auch mit Charme.

- Lassen Sie sich irritieren in einem offenen Gespräch mit Ihrer Frau und Partnerin, um neue, kreative Arrangements für Erziehung, Haushalt und Beruf zu finden, ein Modell Arbeit-Familie 4.0. Das geht!

- Lassen Sie sich irritieren auf einer Reise nach Skandinavien. Dort ist man schon viel weiter und geht wesentlich unverkrampfter mit dem Thema um. Vermutlich wird auch Ihr Unternehmen seine Strukturen stärker „skandinavisieren“ müssen, um weiter attraktiv zu bleiben. Irritieren Sie nach Rückkehr von der Reise Ihre Kollegen mit Ihren Fundstücken.
Lassen Sie sich nicht irritieren, wenn Sie nunmehr in Ihrer Rolle als Mann und Vordenker Ihr Umfeld irritieren!

Anregungen für Frauen
- Lassen Sie sich irritieren, dass auch Männern in Ihren traditionell weiblichen Sphären Ansprüche stellen, zum Beispiel nach gleichwertiger Teilhabe an der Erziehung.

- Lassen Sie sich irritieren von der Beharrlichkeit der traditionellen Männerbünde. Vertrauen Sie jedoch darauf, dass Zeit und Verbündete Ihnen helfen.

- Lassen Sie sich irritieren von den Unterschieden – denn dort liegt die Stärke, nicht in der Kopie.

Lassen Sie sich jedoch nicht irritieren in Ihrem Bemühen, eine familienfreundlichere Kultur zu schaffen und die Führungskultur im Unternehmen weiterzuentwickeln. Lassen Sie sich auch nicht davon irritieren, dass gemeinsame Erfolge weiterhin den Männern zugeschrieben werden. Stellen Sie aber Ihr Licht nicht unter den Scheffel.

Anregungen für Frauen und Männer
- Beobachten sie das Verhalten in den Gremien (Vorstandssitzungen, Projektgruppen, Bereichs-, Abteilungsleitersitzungen): Handelt es sich um gemischte Gruppen oder um „Monokulturen“ (nur Frauen oder nur Männer)? Welche Vor- und Nachteile lassen sich feststellen?

- Beobachten Sie sich selbst: Wie kommunizieren Sie mit Frauen, wie mit Männern? Wie reagieren Sie auf Fehler? Auf Lob und Kritik? Auf Vorschläge? Welche Gedanken und Empfindungen werden dabei ausgelöst?

- Stellen Sie sich vor, heute Nacht kommt eine gute oder böse Fee und wandelt Ihr Geschlecht um. Ab morgen gehen Sie als Mann beziehungsweise Frau zur Arbeit. Was verändern Sie? Wie verhalten Sie sich, wie reagieren die anderen?

Anregungen für Ihr persönliches Tagebuch
- Welche Frauen- beziehungsweise Männerbilder haben mich in meiner Herkunft geprägt? Waren es eher starke Frauen? Starke Männer?

- Wie waren meine Ablösungsprozesse? Wie war das Rollenzusammenspiel in meiner Herkunftsfamilie? Meine Sehnsuchtsbilder?

- Was verehre ich? Verehrung hört sich edel an, bringt aber auch stets ein Stück Distanz mit sich. Wer etwa als Mann Frauen gegenüber Verehrung empfindet, tut sich schwer, auf Augenhöhe zu sein.

- Was wurde idealisiert, was abgewertet? Wo gibt es neue Bilder? Die Bewertung wird natürlich unterschiedlich sein, je nach dem ob Sie Frau oder Mann sind.
Tragen Sie also Irritation in Ihre Organisation. Das macht die Dinge zwar erst einmal nicht einfacher, denn der Preis für die Irritation ist bekanntlich eine Zunahme an Komplexität. Möchten Sie aber erreichen, dass Frauen und Männer künftig produktiv zusammenwirken und die Chancen nutzen, die sich aus den Unterschieden ergeben, gibt es nur diesen Weg: Brechen Sie aus den festgefahrenen Denkschablonen aus, irritieren Sie!