Wie ein börsennotiertes Familienunternehmen ganz eigene Wege geht : „Willkommen im Land der Paradoxien“

Wie ein börsennotiertes Familienunternehmen ganz eigene Wege geht : „Willkommen im Land der Paradoxien“

Zitat:
„Ein erstklassiger Geist zeichnet sich dadurch aus, dass er in der Lage ist, zwei gegensätzliche Ideen in seinem Kopf auszuhalten und trotzdem noch zu funktionieren.“
Scott Fitzgerald

„Das Wort agil verwendet wir eigentlich nicht. Das was wir machen, sollte jenseits der Begriffe zu unserer Kultur passen.“

Das war einer der ersten Sätze in unseren Interviews bei der Sixt SE mit Sitz in Pullach bei München, einem der international führenden Anbieter von Mobilitätsdienstleistungen und in rund 110 Ländern präsent. Unsere forscherische Neugierde war geweckt. Willkommen auf unserer Reiseroute durch das Gebiet „New Organizing“, willkommen auch zu einem kleinen Abstecher ins Land der Paradoxien.
Wir waren im Rahmen des Forschungsprojekts „New Organizing“ von Simon, Weber & Friends bei der Sixt SE in Pullach bei München und führten eine Reihe von Interviews im Bereich Sixt Tec mit circa 500 Mitarbeitern.
Mit uns, aber in anderen Großorganisationen im Gesamtprojekt waren 40 weitere Forschende. Im Unterschied zu den meisten anderen Organisationen hatten wir es mit einer Großorganisation zu tun, die von einer Unternehmerfamilie geführt wird. Ein Unterschied der einen Unterschied macht, wie wir in den Interviews bald feststellten.
Oft ist in Großorganisationen eine Diskrepanz zwischen der Schauseite der Organisation und dem Blick hinter die Kulissen feststellbar. Das war bei Sixt nicht die Leitunterscheidung in unsere Interviews. Hier war es der Umgang mit Paradoxien und Widersprüchen.
Wir möchten hier aus dem umfangreichen Material einen zentralen Aspekt herausgreifen der in vielen Transformationen als zentrale Paradoxie auftritt :

Der Steuerungsprozess: Top-Down versus Bottom-Up
• Auf der einen Seite: Wir sind eine börsennotierte SE mit entsprechenden Pflichten, Strukturen und Hierarchie. (Top Down). Dazu hat Sixt klare Strukturen und Hierarchien (Formalität)

• Auf der anderen Seite: Als Familienunternehmen haben unsere Mitarbeiter hohe Freiräume zur Gestaltung. Zudem haben und wollen wir engagierte Mitarbeiter mit hoher Kenntnis on the Job, die Mitsprache und Mitgestaltung wollen. (Bottom Up). Dazu lässt Sixt in hohem Maße emergente Strukturen zu (Informalität).

NEW ORGANIZING – EMPIRIE TRIFFT THEORIE – DIE THEORIE

Was sagt nun die Theorie dazu? Was würde sie uns in einem von einer Unternehmerfamilie geführten Unternehmen erwarten lassen? Ein kurzer Exkurs dazu. (vgl. Zimmermann, Unternehmer sind Verrückte, 2013)
Unternehmer führen anders als Manager. Die Logik des Managerialen sind Fakten, Pläne und Ziele. Demgegenüber akzeptiert Unternehmertum Widersprüchlichkeiten innerhalb der Organisation und der Gesellschafter. Mal mischt es sich überraschend ein, mal hält es sich vornehm und respektvoll zurück. Es balanciert meist geschickt durch Zeiten des Wachsens wie des Schrumpfens. Es gewinnt Menschen zum Mitmachen und verwandelt vermeintliche Sackgassen in Wanderwege, denen die ganze Mannschaft folgt – es tut das, was man heute gerne „Leadership“ nennt.

Unternehmerische Führung balanciert zwischen den Polen Unternehmertum und Management. Den Faktor Management setzt er als Wachhund für Effizienz und Ordnung ein, übergibt ihm jedoch niemals die Alleinherrschaft.

Erfolgreiches Unternehmertum versteht es, sich in einem komplexen Umfeld zu bewegen. Während etwa ein Ingenieur mechanistische Systeme gewohnt ist und daher die Eindeutigkeit vorzieht, ist der Unternehmer Spezialist im Umgang mit mehrdeutigen Situationen. Eine seiner großen Stärken ist die Ambiguitätstoleranz, also die Fähigkeit, mit Widersprüchlichkeiten oder Mehrdeutigkeiten umzugehen. Anstatt in Entweder-Oder-Kategorien zu denken, findet er häufig eine intelligente Lösung im Sinne von „beides ist möglich“ oder „es geht auch ganz anders“.
Dies erscheint umso lohnender, als widersprüchliche Situationen in einer immer komplexeren Welt zunehmen, auch in Untersuchungsfeld „New Organizing“ wie eine Reihe von Fallstudien im Buch zeigen. Damit gewinnt auch die Fähigkeit an Bedeutung, balancierend zu führen – anstatt wie Buridans Esel blockiert vor den Alternativen zu stehen. Wie vollbringt Unternehmertum diesen Balanceakt des Sowohl-als-auch, der den meisten Managern eher fremd ist, obwohl sie doch dafür bezahlt werden, in komplexen Situationen Klarheit zu schaffen?
NEW ORGANIZING – EMPIRIE TRIFFT THEORIE – DIE EMPIRIE
Zurück zu unserem Forschungsobjekt Sixt SE. Wie geht Sixt nach unseren interviewbasierten Hypothesen mit dieser Paradoxie um? Wie wird das „Mal so, Mal so“ in der Organisationspraxis gelebt ?
Hierzu einige Statements aus den Interviews:

• „Wir sind stolz auf unsere Sixt Kultur, es ist hier so wie bei unserer Werbung, entweder du findest es Mega oder ein NO.

• „Wir arbeiten stark mit dem Prinzip gesunder Menschenverstand plus einfach machen“.

• „Fehler können passieren… but this is not the end of the World in Sxt… wir korrigiern dies …habe dies selbst erlebt , dauerte eine Woche …habe ihn selbst entdeckt und gleich gemeldet …und dann korrigiert“.

• „Neue Ideen, häufig auch von Erich Sixt werden in unserer Kultur aufgenommen durchaus aber auch diskutiert.“

• „Unser Vorstandsvorsitzender Erich Sixt (Stand Sommer 2019) hat die hohe Fähigkeit lose zu führen, aber in wichtige Dinge extrem tief rein zu gehen“.

Dieses sich in den Zitaten zeigende Kulturmuster eines aktiven individuellen Paradoxiemanagements war eines der prägenden Muster bei der Sixt SE. Es macht die Protagonisten zu Balance-Künstlern. Hinzukommt die Bereitschaft der Unternehmer- und Eigentümer-Familie, Risiko zu übernehmen und damit für die Mitarbeiter auch eine Stück Sicherheit zu geben.

EINLADUNG :
Neben dem hier skizzierten Umgang mit der Paradoxie von Top-Down und Bottom-Up in Transformationen zeigt der Fall SIxt Erfolgsfaktoren und Geburtswehen, die ein Unternehmen durchmacht, das sein Geschäftsmodell von der analogen in die digitale Welt verlagert.

Wir haben schon erwähnt, dass in diesem Unternehmen kaum von Agilität gesprochen wird ???? man muss diese nicht explizit fordern. Dies gilt zum einen, weil Teile dieser Organisations- und Steuerungslogik bereits in der „Sixt-DNA“ verankert sind; dies gilt zum anderen, weil die Umstellung des Geschäftsmodells die Umstellung der Arbeitsformen geradezu erzwingt. Letztere scheint - zumindest legen die von uns geführten Interviews dies nahe - im untersuchten Unternehmen trotz aller genannten Herausforderungen und Konflikte gut zu funktionieren.
Buch "New Organizing" beim Verlag